Kunst
vor Ort Helga
de la Motte-Haber
Kunst im öffentlichen Raum, sei es ein
schön geschmückter Brunnen oder ein majestätisches
Reiterstandbild, prägt schon seit Jahrhunderten Stadtlandschaften.
Auch Kunst als öffentlich gestalteter Raum, so zum Beispiel die
Gartenarchitektur, kann auf eine lange Tradition zurückblicken.
Seit einigen Jahrzehnten haben jedoch Durchgangsorte, Plätze,
die zum Überqueren gedacht sind, das Interesse von Künstlern
auf sich gezogen. Environments und Installationen, die zum Verweilen
einladen, verleihen ihnen den Charakter von Kunst als öffentlichem
Raum. Sie überformen einen Ort, sind jedoch nicht beliebig
hinzugefügt, sondern spezifisch auf ihre Umgebung bezogen.
Der Ort selbst wird Teil der künstlerischen Gestaltung.
Herkömmliche ästhetische Kategorien gewinnen dadurch
eine neue Dimension, weil sie nicht mehr einem autonomen künstlerischen
Objekt zugeschrieben werden können. Was als authentisch
erfahren wird, ist in eine umfassende Interpretation der räumlichen
Disposition eingebettet. Bilder können von einem Museum
an ein anderes verliehen werden, Musik kann in verschiedenen
Sälen gespielt werden. Ortsspezifische Kunst hingegen ist
einmalig an ein Hier der Erfahrung des Rezipienten gebunden.
Oft handelt es sich um multisensorische Setzungen, so etwa,
wenn eine visuelle Gestaltung mit Hörereignissen verbunden
wird. Denn mit Klängen lassen sich Atmosphären emotional
verdichten. Das Auge distanziert, es erlaubt den eigenen Standort
abzuschätzen; die »Eindringlichkeit« des Ohres
hingegen intensiviert die partizipatorischen Prozesse des Besuchers.
Ortsspezifische Installationen thematisieren stärker als
traditionelle Kunst die Wahrnehmung des Rezipienten.
Um einem Ort gerecht zu werden, der einmal entscheidend von
seiner Geräuschkulisse geprägt wurde, spielte die Idee,
mit Klang zu arbeiten, für den von der Architektur herkommenden
Künstler Stefan Krüskemper eine große Rolle.
Für die Neukonzeption der Wiesenfläche des Aerodynamischen
Parks in Berlin-Adlershof – dem Gelände, auf dem 1909
der erste Motorflughafen Deutschlands eröffnet wurde – lud
Krüskemper den Wiener Komponisten Karlheinz Essl ein, erprobt
in allen musikalischen Gattungen, auch elektroakustischer Musik
und Klanginstallation, und entwickelte in der Zusammenarbeit
mit ihm eine Lösung, bei der visuelle und akustische Komponenten
eng miteinander verbunden werden.
Die 15 roten ellipsenförmigen und 60 Zentimeter hohen Gebilde,
die wie Markierungen über die Fläche verteilt sind,
wirken geheimnisvoll abstrakt und schaffen Aufmerksamkeit für
die umgebenden Baudenkmale der Luftfahrt wie auch für die
Gebäude, die im Lauf der Zeit neu hinzukamen. Sind es Boviste,
die aus der Wiese sprießen und anstelle von Samenstaub
Klang in ihre Umgebung zerstäuben? Oder sind es Flugkörper
von Außerirdischen, die in ihrem Inneren flüstern?
Funktional gesehen handelt es sich um stabile Lautsprechergehäuse,
die den roten Kugellautsprechern der französischen akusmatischen
Musik verwandt sind. Sie verweisen nicht nur auf die Bauwerke
des Ortes; sie laden durch eingravierte doppelsinnige Texte zum
Verweilen ein, die sich einerseits auf verschiedene Aspekte der
Luftfahrt beziehen und andererseits zur Reflexion des eigenen
Selbst auffordern: »Im Fluge sein. Mut wie Luft.« Diese
Inschriften schweben jeweils wie ein Motto über den Klängen,
bearbeiteten historischen Aufnahmen des Deutschen Rundfunkarchivs,
die aus ihrem Inneren dringen. In den oft langen Pausen zwischen
den Klängen werden die heutigen Geräusche des Platzes
zum Sprechen gebracht.
Mehr als bei anderen Klanginstallationen handelt es sich hier
um einen Umgang mit Klang und Zeit, der im Sinne des erweiterten
Kompositionsbegriffs, den das 20. Jahrhundert hervorgebracht
hat, den schwierigen Balanceakt zwischen strenger Konstruktion
und überraschendem Zufall wagt. Die Granularsynthese, der
das Archivmaterial unterworfen wird, das heißt die Zerstückelung
eines Klangs in ein Granulat, dessen »Körner« sich
durch Zufallsoperationen neu mischen, zeigt jene Kontrolle über
das Unkontrollierbare, die einerseits größtmögliche
Homogenität des Klanggeschehens (alles aus einer Quelle)
bei andererseits maximaler Variabilität (unendlich viele
Permutationen) bewirkt. Zusätzlich wurden die komplizierten
Zufallsprozesse in der Software von Karlheinz Essl so programmiert,
dass fließende,
musikalische Übergange entstehen können.
Wer sich »luftgetragen« und lustgetragen durch diese
Installation bewegt, wird in eine Szenerie versetzt und zum Mitspieler
erhoben. Da die Textgravuren halbkreisförmig auf den roten
Ellipsoiden angebracht sind, muss man um diese herumwandern,
um sie zu lesen. Bis zu einem Abstand von wenigen Metern erinnert
der Klang an das jeweilige Motto. Wenn die Lautsprecherklänge
pausieren, findet eine Art Verwandlung statt: Man wird auf Höhe
der akustischen Atmosphäre des Realraums erhoben.
Mögen auch die Wege durch die Gruppierung der Ellipsoide
wie durch Meilensteine markiert sein, so sind sie doch individuell
wählbar – und mit ihnen der Bedeutungsraum, den man
sich aneignen kann. Die 15 gravierten Texte lassen sich in drei
mal fünf Stationen einteilen: Flug – Höhe – Mut
/ Boden – Erde – zerbrechen / Strömung und Druck –
nachgeben – nicht nachgeben. Der Besucher schafft im Umhergehen,
Übergehen und Verweilen seine je eigene Geschichte, auch wenn ihn
ab und an ein kurzes lautes Signal inmitten der meist leise flüsternden
und sprechenden roten Körper aus seinen Gedanken reißt.
Kunst vor Ort besitzt keinen institutionellen Rahmen, wie er
für die traditionelle Kunst durch Museen und Konzertsäle
gegeben ist. Wer zufällig in ein solches Environment gerät,
wird kommunikativ einbezogen, ohne genau zu wissen, in welchen
Bedeutungsraum er eingetreten ist. Es ist sehr selten, dass die
zwangsläufig ausgelösten Orientierungsreaktionen des
Besuchers von den Künstlern mitbedacht werden. Anders bei AIR
BORNE, wo die Vermittlung an das Publikum von vornherein
durch eine Publikation und eine Website, die das Projekt begleiten,
eingeplant wurde. Ein Rahmen wurde damit geschaffen, der es ermöglicht,
den unmittelbaren emotionalen Eindruck der Installation durch
kognitives Wissen zu erweitern.
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Vorwort
Wettbewerb
Kunst vor Ort
Die Idee
Der Ort
Die Klänge
Das Archiv
Die Objekte
Die Autoren
Publikationen
Dank
Kontakt
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Ein
Projekt von
Stefan Krüskemper, buero für integrative kunst
Unter Mitwirkung
von
Karlheinz Essl und Trillian GmbH
Beauftragt vom
Land Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Standort
Aerodynamischer Park, Campus Adlershof der Humboldt-Universität,
Newtonstr. 14–18, 12489 Berlin
Die Klanginstallation ist dauerhaft installiert
und jederzeit frei zugänglich.
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